´Pack den Tiger in den Tank`, ein Werbeslogan der seit über dreißig Jahren als Synonym für das Mineralölunternehmen ESSO steht. Diesen Tiger packte Anja Jensen. Sie setzte ihn als aufblasbares Gummitier wie einen mächtigen Wächter sprungbereit, überlebensgroß und weithin sichtbar auf das Dach des Wewerka – Pavillons. Doch die Künstlerin überließ dem Tiger nicht allein das Feld. Der monumental leuchtende Giebelschmuck auf der Frontseite des Pavillons erhielt seinen skulpturalen und inhaltlichen Kontrapunkt in einem Wald aus 120 schwarzen Schläuchen im Inneren des Glasraums. Von der Decke hängend liefen diese zu insularen Geflechten auf dem Boden aus: eine raumbezogene skulpturale Installation, die für sich hätte bestehen können, in ihrer Betonung der konkreten Qualitäten von Material und Struktur, aber kunsthistorisch eher in die 70 er Jahren zu verweisen wäre. Zunächst ein formaler Gegenpol, wenn nicht gar ein Bruch? Oben: das schrille Zitat aus der Werbeindustrie, die stilistische Anleihe aus der Popart; Unten: in ruhigeren Tönen die leisere informelle Sprache des Umgangs mit dem Materialcharakter der Gummischläuche, das vertikale Akzentuieren eines ausgewogenen Raumgefüges, das feine, fast grafische Spiel mit den matten Oberflächen dieses Isoliermaterials. Erst aus der Kombination von Tiger und Schlauchskulptur bezieht die Installation ihre zeitgenössische Kraft, aus dem Zusammenspiel zweier konträrer Positionen, die in der Kombination vorgeführt und dadurch in Frage gestellt werden. Denn der stilistisch formale Kontrast löst sich auf narrative Ebene auf. Erst im Zweiklang erschließt sich der erzählerische Zusammenhalt beider Komponenten. Hier bedingen sich Schläuche und Tiger, hier öffnet sich der notwendige Assoziationsraum, in dem das Schlauchgeflecht aus seiner autonomen Befangenheit entlassen wird und der Tiger seinen bloßen deklamatorischen Charakter verliert. So können die Schläuche auch Pipelines, Lebensadern, verworrene Kabelbäume, als Symbol für die Energieversorgung oder – wem es gefällt – sogar als Tigerschwänze gelesen werden. Und auch der Tiger selbst bleibt nicht beschränkt auf das Werbezitat, sondern kann z. B. ebenso als Allegorie auf die Freizeit- und Konsumgesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts gedeutet werden. Die Künstlerin hatte sich über die historischen Vorgaben der jüngsten Kunstgeschichte hinweggesetzt und damit ein provozierend dissonantes Feuerwerk entfacht. Bewusst gesetzte stilistische Widersprüchlichkeit und narrative Einheit waren die Ingredienzien des kraftvollen Treibsatzes.
Martin Henatsch
In: Wewerka-Pavillon´99, Kunstakademie Münster, Schriften der Kunstakademie Münster, 2000, S. 7